Ich gestehe, als ich das erstmal mit dieser Haltung in Berührung kam, habe ich sie alle für verrückt gehalten. Wie soll das funktionieren, so ohne Erziehung, mein Kind zu einem guten Menschen formen? Alle Kinder brauchen Erziehung, ich will doch nicht das sie zu Tyrannen werden. Dennoch hat es hat mich so fasziniert, das ich immer weiter in diese Haltung eingetaucht bin und letztendlich nichts anderes mehr für mich in Frage kommt.
Was ist Erziehung?
Ich möchte unsere Kinder nicht erziehen, denn was bedeutet Erziehung? Der Ausdruck definiert Handlungen, durch die Menschen versuchen andere Menschen, dauerhaft zu verbessern, oder seine als schlecht bewerteten Bestandteile zu unterbinden. Quelle: Wolfgang Brezinka, Erziehungswissenschaftler. Für mich bedeutet das, ich forme meine Kinder so, wie ich das möchte und für richtig empfinde. Das heißt, meine Werte gelten ebenfalls auch für meine Kinder und ich maße mir an, zu entscheiden, was an meinem Kind gut oder schlecht ist. Somit stelle ich mich schon in der Wertigkeit über mein Kind, bin ich also Prinzipiell ein “besserer“ Mensch, nur weil ich erwachsen bin? Ich finde ganz klar Nein, denn auch, unter uns Erwachsenen ist kein Mensch, mehr oder weniger wert. Die Würde eines Menschen ist unantastbar. Kinder sind Menschen! Es ist eine Haltung gegenüber anderen Lebewesen, kein Stil oder Ratgeber dem man folgen kann.
Aber was soll ich jetzt tun, ohne Erziehung?
Erstmal gehe ich also davon aus, das Kinder schon “gut” zur Welt kommen, sie müssen also nicht geformt werden. Das was sie brauchen ist Begleitung und Vorleben, ohne Druck und Gewalt. Sie müssen sich frei entfalten dürfen, ihre Persönlichkeit darf sich entwickeln ohne das ich sie einschränke und in eine Richtung drücken will. Seelische Gewalt hinterlässt übrigens genauso viel Schmerz wie körperliche. Meistens kommt jetzt der Punkt, an dem viele denken, das die Kinder sich nun selbst überlasen sind, das stimmt natürlich nicht. Sie werden begleitet und geführt, an stellen, wo es nötig ist. Natürlich setzte ich meine elterliche Macht ein, um sie davor zu bewahren, einfach auf die Straße zu laufen, schützende Macht. Verantwortung über nehmen ja, mein Kind erpressen, bedrohen und bestrafen, damit es für mich wichtige Dinge tut, Nein. Beginnt bei euch, hinterfragt eure Glaubenssätze, wo kommen sie her, sind sie überhaupt wichtig für mich?
Ändere nicht deine Kinder, sondern dich…
Übrigens bedeutet ein Weg ohne Erziehen nicht, das die Kinder sich selbst überlassen sind und alles Entscheiden. Selbstbestimmung, auch über ihren Körper aber eben sehr wohl. Und ja, sie entscheiden z. B. auch ob und wann sie Zähneputzen. Übrigens putzen sie freiwillig 2 mal täglich. Das war natürlich nicht immer so und es gab schon zwei, drei Tage, an denen sie gar nicht geputzt haben. Der Weg dahin war ganz schön anstrengend und nervenaufreibend, eben weil mir die Zahngesundheit natürlich wichtig ist aber ich sie nicht über die seelische Unversehrtheit stelle. Es kam für mich nie in Frage mein Kind festzuhalten und die Zahnbürste gewaltsam in den Mundraum einzuführen. Was suggeriere ich meinem Kind damit? Ich zwinge es zu Dingen, die es gerade nicht machen möchte, akzeptiere kein Nein, übe meine Macht aus und zwinge mein Kind sogar unter körperlicher Gewalt dazu, es trotzdem über sich ergehen zu lassen. Meist noch begleitet von Worten wie: nun stell dich nicht so an, ist doch nicht so schlimm. Möchte ich das mein Kind lernt, es wäre OK, sich gewaltvoll über diese Grenze zu begeben…? Ich denke wir alle wollen gerade das nicht. Und was soll ich nun tun, wenn es tagelang nicht putzen möchte? Kreativ werden, 100 mal am Tag nachfragen, zu verschieden Zeit, sucht euch verschieden Orte, schon mal in der Küche geputzt? Super spannend. Selber die Zahnbürste aussuchen, gleichzeitig eure Zähne putzen lassen usw. Bringt Humor mit ein, macht ein Spiel draus, es gibt viele Möglichkeiten. Tatsächlich bestimmen sie auch darüber wie viel sie am Tablett oder TV verbringen. Zugegeben, einige Tage, an denen es für mich sehr viel war, fühlte es sich weniger guten. Dieser ausgeprägte Konsum hielt so in etwa 1 Woche an, ich vertraute weiterhin darauf das es sich regulieren wird. Und das tat es dann auch, sie schauen jetzt vielleicht 2-3 kurze Folgen einer Kinderserie.
Heißt das jetzt nur noch mit lieblicher Stimme zu sprechen?
Ganz bestimmt nicht, denn jeder der jetzt denkt, hier würde nun Friede, Freude, Eierkuchen herrschen, der täuscht sich aber gewaltig. Hier ist es laut, denn jeder darf seine Gefühle ausleben. Hier gelten Regeln, denn natürlich dürfen unsere Kinder hier NICHT machen was sie wollen. Schließlich sind wir ja eine Familie. Wir Eltern haben ebenso Bedürfnisse und Gefühle die NICHT übergangen werden. Wir opfern uns NICHT auf und erfüllen auch NICHT prompt jeden Wunsch unserer Kinder. Hier wird sogar gestritten und das nicht zu knapp. Und ganz wichtig, jedes Familienmitglied hat seine ganz eigenen persönlichen Grenzen, die sind aber einfach da, wir müssen keine künstlichen aufstellen. Es ist auch ist nicht so, das ich alles gut finde, was sie machen und das sage ich ihnen auch. Ich möchte nicht schreien oder sie abzuwerten, indem ich sie ausschimpfe. Ich möchte ihnen natürlich aufzeigen was mich stört, dabei aber gleichzeitig ihre Integrität wahren.
Ihr macht es euch aber einfach!
Diese Meinung, dass wir uns das ja entweder ganz schön leicht machen oder uns völlig selbst aufgeben, ist weit verbreitet allerdings völlig falsch. Denn dieser Weg ist alles andere als einfach. Wir erpressen nicht und sprechen auch keine Drohungen aus, das bedeutet wir müssen ständig diskutieren, doppelt so viel Zeit einplanen und Entscheidungen akzeptieren. Gefühle ernstnehmen und aushalten, nicht einfach abstellen. Und trotzdem oder gerade weil wir diesen Weg gehen, gebe ich mich niemals selbst auf. Denn unsere Haltung gilt für alle und eben auch für mich… Hier finde ich Ruths Beispiel immer wieder sehr anschaulich: Bei einem drohendem Flugzeugabsturz, muss ICH mir zuerst die Sauerstoffmaske aufsetzten, damit ich nicht bewusstlos werde und somit meinen Kindern helfen kann.Wir können nur dann liebevoll und respektvoll miteinander umgehen, wenn wir zu uns selber genauso sind. Das hört sich jetzt alles ganz wunderbar leicht an, aber glaubt mir, ich weiß wie anstrengend dieser Weg tatsächlich ist, denn auch wenn ich das alles weiß, mache ich trotzdem 1000 Fehler am Tag. Vor allem, wenn meine Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Niemand ist Perfekt, das ist auch nicht wichtig. Wir selber dürfen uns verzeihen und uns bei unseren Kindern entschuldigen, wenn wir unfair zu ihnen sind. Du musst auch nicht alles auf einmal ändern, sondern Schritt für Schritt und auch mal drei zurück. Das ist Leben, und zwar auf Augenhöhe.
Welche Werte sind dir wichtig und was wünscht du dir für dein Kind? Hinterfrage einmal deine Glaubenssätze und Erziehungsziele. Werde dir bewusst was wichtig für deine Familie ist, nicht was anderen wichtig und richtig erscheint.
Liebe Grüße Anja
Hier kommt ihr zu meinem vorigem Beitrag und
hier sind meine Inspirationen verlinkt:
Der Kompass von Ruth
Super geschrieben, vielen Dank!